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[Ausg. 47] Seite 09. Das Ende der Unendlichkeit [I] - Sound of Silence


Vincere
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Stille. Ein seltenes Phänomen heutzutage, hier in der ehemaligen Großstadt. Mein Umfeld erinnert kein Bisschen an Stille. Zerstörte Gerüste, verbrannte Fahrzeuge, schwer beschädigte Panzer und Tod prägen die einst wirtschaftlich übermächtige Stadt. Wir sind alleine, keine Anzeichen von sonstigen Lebensformen, keine Anzeichen von etwas Nützlichen. Alles was wir haben, ist eine halbleere Wasserflasche mit einem Hauch von Dreck, unsere Rüstung mit den Kleinkaliber-Waffen, denen es an Munition fehlt und unsere zwei, brandneuen, und doch zerkratzten Kampfpanzern. Einer erschaffen zum Stürmen von Festungen, dafür bietet sich ja die Donner perfekt an. Der Andere spezialisiert zum Ausspähen und gemacht für taktische Hintergrundangriffe. Hornet und Freeze, immerhin etwas, das uns relativ kühl halten kann. Der ganze beschädigte Stahl der Stadt ist im Sommer eine Qual. Die gefühlten 40 Grad Celsius machen einen fertig, man muss ja noch an die Rüstung denken. Wir haben allgemein ein Problem, einen kalten Kopf zu behalten. Ich lehne mich an den großen Donnerpanzer mit seiner Wiking und schaue nach oben. Stahl, Stahl und nochmal Stahl, überall Stahl! Ich könnte meinen, dass ich nie wieder in meinem Leben Stahl sehen will, was aber wohl unmöglich ist. Ich bin gefangen mit meinen Männern im Zentrum einer Weltmetropole. Ich, Rodrick, Feldmarschall der zweiten Brigade und zwei meiner Männer, jedenfalls was von ihnen übrig geblieben ist. Hanks, Major und Vilant, Leutnant. Alles loyale Männer mit dem Willen, zu dienen, doch brennende Hitze und der omnipräsente Hass bringen ihr Blut zum kochen. Ständig höre ich Fragen, warum wir das machen? Wozu das dient? Keiner kann die Fragen mit Beweisen beantworten. Die Antwort lautet immer: Folgt dem Befehl. Dabei ist unser Befehl ganz einfach: Stellung halten. Es hat nicht lange gedauert, diesen Posten zu erobern, wenn man dabei mehrere Leben riskiert und sie verliert. Nur die Frage ist, wen kümmert das? Geboren zum Sterben, das sind wir, aber eher bekannt als zweite Brigade der kontinentalen demokratischen Republik KDP. Demokratisch, ist hier frei definiert. Schickt junge Männer von ihren Familien weg, in einen von der Regierung verschuldeten Krieg und sorgt dafür, dass möglichst viel Schaden angerichtet wird. Scheinbar ist ihnen das gelungen. Die Stadt, einst belebt von über 10 Millionen Einwohnern, einer florierenden Wirtschaft und bekannt für eine heutzutage seltene Begebenheit. Frieden. Wer kennt den Frieden noch? Ist ja schon fast 50 Jahre her, dass sich die KDP deren, ja deren Feind die Hand reichen. Heute werden wir noch an die Front geschickt, um für deren Geld zu kämpfen. Im Endeffekt sind wir doch alle Menschen, oder?

Stille. Liebliche Stille in der verwüsteten Stadt. Ich sitze an der Wiking in meiner zerkratzten und zerfledderten Rüstung und blicke in meine Tasche. Altes Verbandszeug, ein wenig Munition und alte Bilder auf Fotopapier. Die Bilder zeigen meine Familie. Meine Frau, Janina und meine zwei Kinder Lenny und Kiara. Die Bilder sind wohl die einzigen halbwegs brauchbaren Gegenstände, um mich daran zu erinnern, was bedingungslose und unendliche Liebe bedeutet. Ich habe meine Frau vor ein paar Jahren geheiratet, als ich noch nicht dazu gezwungen wurde, hier für die abscheuliche Regierungen meinen Kopf hin zu halten. Ich atme tief durch, drücke die salzigen Tränen weg und möchte langsam die Bilder wieder in meine Tasche packen. Diese Stille ist zu schön, zu schön um wahr zu sein. So ist es auch, bevor ich es überhaupt geschafft habe, meine alte Tasche zu packen, höre ich schon von der Ferne ein nerviges Pfeifen, welches immer lauter wurde. Ohne zu zögern schreie ich meine restlichen, kranken Männer an, sich zu verstecken. Noch bevor eine Sekunde vergehen konnte schlägt sie ein, eine Feuerbombe, die einen Volltreffer auf unseren Sturmpanzer landet. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie der Panzer in Flammen aufgeht und durch die Wucht der Explosion weggeschleudert wird. Zwei Drehungen in der Luft und dann knallt er schon gegen einen Pfeiler, den er ohne Probleme zerschmettert hat. 100 Tonnen sind halt kein leichtes Gewicht, was übrig geblieben ist: brennende Technik mit einer Prise von Dreck auf dem Boden. Ich legte mich auf meinen, durch die Splitter zerkratzten Rücken, doch bevor ich es mir überhaupt auf dem Schotter irgendwie gemütlich machen konnte, riss ich mich auf die Knie und schrie nach meinen Männern. Die Angst, dass jetzt auch die letzten Männer weg sind, ist unerträglich für meine jetzt schon eiskalte Seele. "Hanks! Vilant!" Ich schreie und schreie, bis nach gefühlt 2 Stunden endlich eine Antwort kam. "Wir sind in Ordnung, nur leicht verletzt." Erleichterung. So erleichtert bin ich selten. Ich lege meinen Kopf in den rauchigen Dreck und atme tief durch, komplett egal, ob es stinkt oder nicht. Nach ein paar tiefen Atemzügen höre ich ein leichtes Knacken und ein ekliges Quietschen. Ich lege mich auf meinen Rücken und schaue geschockt auf das nächste Stockwerk und merke, dass es sich leicht schwenkt. Es ist mir sofort klar, was das bedeutet. Ich schreie auf "S*****e" und genau im selben Moment knicken die Pfeiler von dem Wolkenkratzer langsam nacheinander ein. In größter Not renne ich von den Gebäude weg und schmeiße mich auf die offene, kaputte, mit Restmüll gefüllte Straße. Im Krieg ein sicherer Tod, jedenfalls normalerweise. Nach einer schneller Drehung auf den Knien sehe ich wie hinter mir das brennende Gebäude einbricht und im tobenden Lärm meine Männer in den Tod reißt. Ich schreie ein brennendes "Nein!" aus meinem verletzten Mund, der von Tränen übergossen ist, aber ich muss es mir verkneifen, weiter zu weinen. Der Rauch kam auf mich geschossen, wie eine Gewehrkugel.

Dunkelheit. Ich habe die Augen geschlossen, dabei lege ich auf dem Boden und weine. Ja, auch Männer weinen einmal, meine Seele hält das nicht mehr aus, ich hab keine Chance, zu überleben. Diese Gedanken prägen einen, wenn man schon seit über 2 Jahren an einer Front kämpft und es irgendwie überlebt hat. Die meisten krepieren nach spätestens 4 Wochen, wegen fehlender Ausbildung und der daraus enstehenden Leichtsinnigkeit. Die Regierung bildet kaum noch Leute aus, die Hauptsache ist, dass die Jungs an der Front sind. Nur so hab ich meinen Rang erhalten, nicht durch irgendwelche besonderen Leistung. Nur durch Glück, Wille und logischen Gedankengängen. Scheiß auf den Rang, was sagt der aus? Im Endeffekt bin ich nur ein Mensch, der sich in einer jahrelangen Schlacht befindet und keinen Ausweg findet. Als der Rauch langsam wegzieht, liege ich auf dem Rücken, in Tränen gebadet und bewege mich nicht, denn wozu? Ich schließe meine von Tod gekränkten Augen und denke über meine Vergangenheit nach. Ich bin der Letzte meiner Brigade. Wir waren mal 50. 50 Männer, einer übrig. Alle Tod durch Schüsse, Explosionen und Hass. Wieso? Weil die Regierung will, dass wir uns für ihre Macht die Köpfe wegballern. Familie. Meine Familie ist das was mir bleibt. Sie leben tausende Kilometer weg von hier, da tobt kein Krieg. Da gibt es keine Panzer, vielleicht nur in Museen. Dort meint man, dass wir Helden sind, die für sie kämpfen. Doch die Leute, die sich ein wenig mit diesem hässlichen Thema beschäftigen, wissen, dass dieses Bild falsch ist. Wir leiden. Wir weinen. Ich atme tief ein und aus. Stehe langsam auf und schaue mich um. Aus der Ferne sehe ich Panzer. Zwei Stück. Beide mit Wiking und Donner ausgestattet, mit dem Symbol der KDP. Rufen, nur das mache ich jetzt, in der Hoffnung, dass Die mich sehen. Machen sie auch, sie kommen zu mir angerannt. In Freudentränen, dass ich jemanden sehe kann, dem ich vertrauen kann, bilde ich mir ein, dass alles gut wird. Alles nur Einbildung. Paar Meter vor mir bleibt der eine Mann mit Bart und braunen Haaren stehen und richtet eine Waffe auf mich und drückt ab. Kein Schmerz, ich fühle nichts. Nichtmal den Pfeil in meiner blutigen Brust, alles gefühlslos. Weiß, ich sehe nur noch weiß und kippe nach vorne. In der Hoffnung, dass es meiner Familie gut geht. 

Licht, piepsige Geräusche und gute Luft. Langsam komme ich wieder zum Bewusstsein. Meine Umgebung wird immer schärfer für mich, trotzdem kann ich mir nicht ausmalen, wo ich bin. Grüne Lichter, Monitore, weiße und saubere Wände und keine Menschenseele ist in diesem Raum. Ich liege im Bett, will aufstehen, das geht nicht. Ich kann mich nicht bewegen, als wäre ich gelähmt durch ein Gift, welches mir eingedröhnt wurde. Ich schau mich um, will um Hilfe schreien, doch fühle mich nicht stark genug. Ein Fenster, ich sehe ein Fenster mit einem Ausblick. Einem Ausblick auf etwas Spannendes. Moderne Panzer, die ich in meinem Leben noch nie gefahren bin. Gigantische Flugzeuge, die ich in meinem Leben noch nie gesehen habe und eine weite, weiße und offene Landschaft im Hintergrund. Ja, fast schon malerisch. Wo zur Hölle bin ich hier? Wie lange war ich weg? All diese Fragen schwirren mir durch den Kopf, wie eine zu laute Mücke. Plötzlich öffnet sich rasch die Tür. Zwei Menschen treten im schnellen Schritt herein. Kittel, Stethoskop und Klemmbretter, also eindeutig Ärzte. Sie lehnen sich über mich mit weit geöffneten Augen. Ich frage sie ohne zu zögern, wo ich bin und wie lange ich weg war. Sie sagten mir, dass
ich auf Grund des schlecht verarbeiteten Schocks durch den Krieg 20 Jahre im Koma lag. 20 Jahre. Verdammt, tobt der Krieg noch? Wie geht es meiner Familie? Was ist aus der Welt geworden?...



 

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